WHITE FROST "Abschied von Atlantis"

Leseprobe - Kapitel 1:

1
Nelly lag auf dem Bauch auf dem Fußboden. Sie hatte noch keine Gelegenheit gehabt, sich umzuziehen. Ihre weiße Bluse wies deutliche graue Spuren auf, die Perlonstrümpfe waren reif für den Mülleimer. Sie spürte die Laufmaschen die Beine hinauf laufen, während sie verzweifelt versuchte, eine Katastrophe abzuwenden.

Noch vor 10 Minuten war sie gut gelaunt nach Hause gekommen. Ein nerviger Arbeitstag im Steuerberaterbüro lag hinter ihr. Seit einigen Jahren war sie dort Assistentin und Buchhalterin in einem . Den Job würde sie lieber heute als morgen an den Nagel hängen. Mit ihren Kollegen kam sie gut zurecht, aber ihr cholerischer Chef machte ihr oft genug das Leben schwer. Seit einer Woche gab es einen Lichtblick: White Frost.

Eben dieser White Frost war der Grund, weshalb sie sich ihre Kleidung ruinierte und auf dem Bauch vor dem Computertisch herum robbte. Sie war nach Hause gekommen, hatte sich über das am Boden herum liegende Laub und die Erdklumpen geärgert, die ihr Freund Dirk mal wieder nicht beseitigt hatte. Er war den ganzen Tag zu Hause und betreute ihre Hunde. Leider schaffte er es nicht, den Haushalt in Ordnung zu halten. Um nicht gleich in die nächste Auseinandersetzung zu geraten, griff sie zum dem Staubsauger. Das Geräusch hatte in den letzten Tagen Frost zu Begeisterungsstürmen hingerissen. Für einen Kampf mit der Bürste war er jederzeit zu haben. Heute fehlte die stürmische Begrüßung. White Frost schaute nur vorsichtig um die Ecke. Als Nelly mit Schwung auf den "An/Aus"-Knopf trat, passierte das Unglaubliche:

Frost stürzte wie von der Tarantel gestochen davon und obwohl Nelly instinktiv sofort den Staubsauger abstellte, rannte er in Panik unter den Computertisch. Dort saß er nun im hintersten Winkel. Es war unmöglich, ihn hier zu erwischen, da der Tisch schräg in der Ecke stand. Mit einem Blick erkannte Nelly, dass der neue Flachbildschirm nach hinten in die Lücke stürzen würde, falls Frost sich im Kabel verheddern und in noch größere Panik geraten würde. Der Monitor schwankte ein wenig. Das zeigte Nelly, dass Frost dem Kabel bereits bedrohlich nahe war.

Nelly robbte etwas näher heran. Frost drückte sich misstrauisch ein Stück weiter in die Ecke. Durch seine Bewegung straffte sich ein Kabel und die Maus fiel polternd hinunter. Sie landete direkt auf dem verwirrten Welpen. Der machte einen entsetzten Satz zur Seite, heulte auf und suchte in heller Panik nach einem Ausweg. Nelly versuchte, ihn mit der Hand festzuhalten. Frost war schneller und flitzte an ihr vorbei. Er hatte ein Kabel um die Pfote geschlungen. Nelly schloss die Augen und wartete darauf, dass der Monitor mit lautem Krachen zu Boden fallen würde. Nichts passierte. Vorsichtig drehte sie den Kopf und öffnete die Augen.

Am Schreibtisch stand ihr Freund Dirk. Mit der linken Hand hielt er den Monitor fest. Seine blauen Augen musterten sie ironisch und sei wusste genau, was er dachte. "Ich hab's dir ja gleich gesagt." Schweigend reichte sie ihm das Kabel nach oben, stand auf und schaute an sich herunter. Sie murmelte:
"Ich erzieh ihn schon noch." Dirk schüttelte den Kopf und erwiderte kurz:
"Eine neue Wohnungsausstattung erklärst du aber den Bankern."
"Komm, Dirk, ich hatte einen bescheidenen Tag. Lass uns nicht wieder anfangen, über Frost zu diskutieren."
"Ich hatte auch einen bescheidenen Tag, denn ich schleppe den Welpen hier rein und raus, wenn er pieseln muss. Ich pass auf, dass er weder Computerkabel anknabbert, noch Faxe vernichtet oder sich die Schokolade einverleibt, die du hier rumliegen lässt."
"Das wird sich ändern."
"Dem Weichei hier würde kein Zacken aus der Krone brechen, wenn er im Zwinger wäre. Wie unsere anderen Hunde auch."
"Ich kenne deine Einstellung."
"Es war verdammt lange auch deine!"
"Ich habe meine Meinung geändert. Was dabei?", fragte sie provozierend.
"Ja. Dass du bestimmst. Du kaufst Frost - ohne mein Wissen. Holst ihn - ohne mein Wissen. Du bestimmst: der Hund lebt im Haus. Ich sag dir eins: dieser Hund wäre im Zwinger glücklicher, wo es keine Staubsauger gibt."
"Er hatte in den letzten Tagen keine Angst vor dem Staubsauger, das muss eben was anderes gewesen sein."
"Glaub', was du willst. Ich bleibe dabei, der Hund war ein Fehlkauf. Wir haben selber Welpen. Es wäre kein Problem, davon einen zu behalten. Aber du traust unserer Zucht anscheinend nicht mehr." "Nein. Die Gründe kennst du. Und ich habe keine Lust, darüber schon wieder zu diskutieren."
"Trifft sich gut. Ich auch nicht. Ich gehe auf den Platz."


Nelly blickte ihm nach, wie er zum Schlafzimmer ging, um sich umzuziehen. Er fragte nicht mehr, ob sie ihn begleiten wolle. Früher wäre das keine Frage gewesen, da traten sie nur zu zweit auf und es war selbstverständlich, auf dem Platz zu helfen und zu trainieren. Nelly warf einen traurigen Blick auf die geschlossene Schlafzimmertür. Sie war seit ihrer Kindheit mit Dirk zusammen, aber in letzter Zeit stritten sie sich häufig. Um die Hunde und um das Geld. Nelly hatte Zweifel, ob das, was sie taten, noch richtig war. Es gab Zeiten, in denen sie Dirks Wissen und Handlungsweise nicht in Frage gestellt hatte. Als Sohn von langjährigen Züchtern war er der Fachmann, und Nelly lernte von ihm.

Irgendwann waren ihr Zweifel gekommen. Zweifel, die auch ihre lange Beziehung mehr und mehr belasteten. Sie seufzte leise und schaute sich nach Frost um. Er kauerte in der Arbeitsecke, die zum Wohnzimmer gehörte. Nelly wusste, dass sie ihn eigentlich nicht dort lassen sollte, in der Nähe des Computers. Trotzdem war ihr Dirk jetzt wichtiger. Sie wollte keinesfalls, dass er verstimmt losfuhr. Sie lief in das Schlafzimmer, wo er gerade seinen Trainingsanzug anzog. Aus dem Jungen aus der Nachbarschaft, mit dem sie auf den Bäumen herum geklettert war, war ein attraktiver Mann geworden. Mit seinen nackenlangen, dunklen, leicht gewellten Haaren war er zwar nicht der Traum seriöser Schwiegermütter, aber sein Aussehen und auch sein Verhalten hatten etwas enorm Anziehendes. Mehr als einmal wurde sie von ihren Freundinnen um diesen Mann beneidet. Es war ein wunderbares Gefühl, seine Partnerin zu sein und sich auf ihn verlassen zu können. Auch jetzt noch, nach fast 10 Jahren Beziehung, spürte Nelly die Wärme in ihrem Körper hinauf kriechen, wenn sie ihn ansah. Dirk hielt kurz inne und erwiderte ihren Blick. Es lagen weder Spott noch Wut darin, es war eine Antwort auf die unausgesprochene Frage, wie es um ihre Beziehung aussah.

Auch Nelly brauchte sich nicht zu verstecken. Es gab kaum einen Mann, der ihr nicht bewundernd nachschaute. Make-up und Modetrends interessierten sie nur am Rande. Nellys Attraktivität war ihre Natürlichkeit. Die schwarzen Haare hatten je nach Lichteinfall einen bläulichen Schimmer und fielen ihr gewellt bis weit über die Schultern, und ihre braunen Augen hatten für Dirk immer noch etwas Geheimnisvolles. Sie hatte eine schlanke, sehr weibliche Figur. Durch ihren verantwortungsvollen Job in der Kanzlei hatte sie eine selbstbewusste und trotzdem sehr freundliche Art. Sie hatte die Gabe, zu kritisieren ohne zu verletzten. Allerdings war sie keine Frau, die sich gedankenlos unterordnete. Als in ihrer Hundezucht ungewöhnlich viele Problemfälle auftraten, hatte sie begonnen, die Ansichten zur Auswahl der Zuchttiere in Frage zu stellen. Das führte mehr und mehr zu Auseinandersetzungen mit Dirk. Trotz aller Schwierigkeiten wurde Nelly für Dirk dadurch noch anziehender und diese Bewunderung für sie spiegelte sich jetzt in seinem Blick. Nelly spürte, dass sie um ihre Beziehung nicht zu fürchten brauchte. Sie hob seine Jeans vom Boden auf, warf sie mit gezieltem Schwung in den Wäschekorb und meinte einlenkend:
"Tut mir ja leid, dass du soviel mit Frost zu tun hast. Aber wenn er erst ein wenig älter ist..." "... wird er verweichlicht und zu keiner vernünftigen Arbeit mehr zu gebrauchen sein", vervollständigte Dirk grimmig den Satz. Sie wusste, dass er bei dem Thema kaum Verständnis für ihre Sichtweise hatte.
"Kannst du nicht verstehen, dass ich mit ihm etwas Eigenes machen möchte?" "Nein. Kann ich nicht."
Er schob sie zur Seite. Im Vorübergehen meinte er gelassen zu ihr:
"Ich habe übrigens den kleinen Rüden heute morgen verkauft." Nelly runzelte die Stirn. Aus ihrem letzten Wurf waren noch zwei Welpen übrig, die mit ihren elf Wochen nun dringend verkauft werden mussten. Der Rüde, von dem Dirk sprach, war überaus scheu und schwierig. Dirk sah ihre Verwunderung und erklärte:
"Die Leute kamen unangemeldet vorbei und haben nicht viel gefragt." Entschuldigend fügte er hinzu: "Du weißt, dass der Kleine schwer zu verkaufen war. Sie haben bar bezahlt und ihn mitgenommen."

Nelly nickte. Normalerweise schaute sie sich die Interessenten genau an und Dirk, der das Ganze etwas lockerer sah, überließ ihr die Entscheidungen. Auch hier hätte sie gern gewusst, in welche Hände Ocean gekommen war. Andererseits hatte Dirk Recht: Sie brauchten das Bargeld dringend.

"Ich zahle das Geld gleich ein, dann gibt unser netter Betreuer von der Bank wieder Ruhe." Sein Tonfall verriet, wie sehr er unter der angespannten Situation litt. Nelly nickte. Die Anrufe von der Hausbank kamen regelmäßig und es grenzte an ein Wunder, dass das Konto noch nicht vollends gesperrt war. Und wenn die Welpen 11 Wochen alt waren, konnte man die Käufer nicht mehr so genau aussuchen. Vor allem dann nicht, wenn man einen problematischen Welpen wie Ocean übrig hatte. Wenn sie ihn nicht verkaufen konnten, bedeutete es eine Einnahme weniger und mehr Futterkosten. In ihrer derzeitigen Situation konnten sie sich das nicht leisten. Der Bau der Zwingeranlage hatte ihre Rücklagen verschlungen.

Dirk gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange, wedelte mit den Geldscheinen und ging hinaus. Als sie ihm durch das Fenster nachschaute, sah Nelly, dass er noch eine Kiste Bier ins Auto lud. Es würde spät werden heute Abend.

Nelly atmete einmal tief durch. Sie würde nun einige Stunden Ruhe haben. Ruhe, um sich mit Frost zu beschäftigen und vielleicht auch Ruhe, um dem Papierberg auf ihrem Schreibtisch zu Leibe zu rücken. Sie zog sich um und machte sich auf die Suche nach ihrem Welpen. Der lag in der Küche auf den Fliesen und schlief. Um ihn im Auge zu behalten, beschloss sie, die Küche in Ordnung zu bringen. Seit Frost im Haus war, boykottierte Dirk einen großen Teil der Mitarbeit im Haushalt mit der Erklärung, dass er sich während ihrer Arbeitszeit um den Welpen kümmern müsse. Dirk war von Anfang an wütend gewesen, dass sie ihren Welpen im Haus behalten wollte. Nelly hoffte, so langsam die Zwingerhaltung aufheben zu können. Sie wusste, dass Dirk nichts anderes kannte. Seine Ansicht würde sich nicht von heute auf morgen ändern. Ihr selber taten die fünf Hunde leid, die draußen in der Zwingeranlage lebten. Das Klappern der Schüsseln, die sie wütend lauter als notwenig in den Spüler räumte, weckte Frost. Irritiert blickte er kurz hoch, um dann sofort das Weite zu suchen. Nelly schüttelte ungläubig den Kopf - der Kleine schien einen ähnlich miesen Tag zu haben wie sie.

"Na, Frosty, dann müssen wir uns wohl gegenseitig ein wenig trösten, was?", murmelte sie und griff nach seinem Lieblingsspielzeug. Das Quietschen hatte ihn in den letzten Tagen aus dem verstecktesten Winkel hervorgelockt. Frost legte den Kopf schief und seine dunkelbraunen Augen blickten sie fragend an. Sie setzte sich zu ihm auf den Boden und versuchte, ihn zum Spielen zu animieren.
"Du bist ein komischer Kauz, Frost, was ist heute los mit dir? Gedächtnisverlust? Hat Dirk dich geärgert?" Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Dirk ihn absichtlich verschrecken würde. Er ging zwar mit seinen Hunden auf dem Platz manchmal mehr als rau um, aber bei Welpen in Frosts Alter handelte er durchweg liebevoll und ruhig. Heute stand der Hund vollkommen neben sich. Was war während ihrer Abwesenheit vorgefallen?

Gedankenverloren kraulte sie den Kleinen, der sich nach kurzer Zeit wohlig auf den Rücken drehte. Nelly erstarrte. Von ihrer ruckartigen Bewegung alarmiert, drehte Frost sich sofort zurück auf den Bauch und versuchte, aus der vermeintlichen Gefahrenlage zu entkommen. Nelly war schneller, nahm ihn hoch und griff nach seiner rechten Hinterpfote. Kein Zweifel, ein Ballen war deutlich hellrosa. Frost hatte bis heute morgen keinen rosa Ballen gehabt. Sie setzte den zappelnden Welpen auf den Boden und sprang auf, um zu den Zwingern zu laufen. Auf halben Wege fielen ihr Dirks Worte ein: "Ich habe den kleinen Welpen verkauft."

Somit war Ocean nicht mehr da. Ocean - hatte einen hellen Ballen an der Hinterpfote. Ein weiterer Grund, dass er schlecht zu verkaufen war. Die Ballen mussten pechschwarz sein. Ocean war eine für ihre Zucht ungewöhnliche Ausnahme, daher war ihr das auch aufgefallen. Die Hunde ihrer Zucht waren bekannt wegen ihrer reinweißen Farbe und ihrer guten, pechschwarzen Pigmentierung. "Jahrelange, gekonnte Inzucht", dachte Nelly ironisch. In diesem Fall hatte sie gedacht, die Färbung würde noch kommen. Dirk gegenüber hatte sie es nicht erwähnt. Nelly lockte den Welpen nochmals zu sich und sah sich die Pfote an. Es gab keinen Zweifel.
"Natürlich", sagte sie leise zu ihm, "dann kannst du Frosts Spielzeug auch nicht kennen. Du bist Ocean, nicht wahr?" Entsetzen schwang in ihrer Stimme mit. Wenn das hier Ocean war, wo war Frost?

"Wer bist du, kleiner Mann?", fragte sie ihn liebevoll. Nelly stand auf und holte ein Handtuch. Sie hatte Dirk einige Male beobachtet, wie er mit Ocean Zerrspielchen gemacht hatte. Vorsichtig schleifte sie das Handtuch über den Boden. Der eben noch dösende Welpe sprang auf und stürzte sich auf das Handtuch.

Wie hatte Dirk nur die beiden Welpen verwechseln können? Sie waren an vollkommen unterschiedlichen Orten gewesen. Nelly dachte nach - Nun ja, wenn er Ocean und Odessa hinein geholt hatte, wie sie es schon öfter für Interessenten getan hatten, dann wäre eine Verwechslung möglich. Frost hatte, oberflächlich gesehen, ein ähnliches Aussehen wie Ocean. Beide hatten langes Fell und hatten, obwohl Ocean zwei Wochen älter war als Frost, eine ähnliche Größe. Aber am Verhalten hätte Dirk es bemerken müssen.
"Nein", sagte sie sich, sie selber hatte Ocean eine längere Zeit für Frost gehalten. Vielleicht - in der Hektik des Verabschiedens?!

Sie merkte selbst, dass sie nach Erklärungen suchte. Nach Entschuldigen für das, was Dirk hier passiert war. Bei einem Hundezüchter darf ein Vertauschen der Welpen einfach nicht vorkommen. Dirk war in dieser Hinsicht absolut zuverlässig gewesen. Ein Versehen .... ?!

Ihr Blick begegnete den braunen Augen des Welpen, der auf ihren Schoß gekrabbelt kam. Ihre Gedanken schweiften in die Ferne und fingen eine vage Idee auf, die schnell in ihrem Kopf Gestalt annahm. Was, wenn Dirk Frost absichtlich verkauft hatte?

Sie dachte zurück an den Tag, als sie ihm gesagt hatte, dass Belinda ihnen White Frost verkaufen wollte. Bis dahin war sie davon ausgegangen, dass Dirk sich freute, einen vielversprechenden Hund zu bekommen. Sie hatte ihm begeistert die Ahnentafel von Frost gezeigt. Dirk hatte einen kurzen Blick darauf geworfen und sie ausgelacht. Er hielt ihre Idee für einen Witz. Als er merkte, dass der Hund bereits gekauft war, hatte er ihr die Hölle heiß gemacht, alles rückgängig zu machen. Sie hatten sich gestritten wie noch nie in den zehn Jahren. Dirk gab nach, aber er ließ Nelly spüren, was er von diesem Welpen hielt. Dass sie sich durchgesetzt hatte, ärgerte ihn.

Er hasste den kleinen Welpen. Dirk hatte mit Nelly die Zuchtstätte "von Atlantis" nach und nach aufgebaut. Inzwischen waren die Atlantis-Hunde auf Ausstellungen oft überlegene Sieger. Dirk war von ihrer Zucht und ihrer Zuchtweise vollkommen überzeugt. Nelly waren Zweifel gekommen und als sie die Hunde aus Frosts Zuchtstätte "of Ireland" gesehen hatte, war sie sicher, dass ein solcher Hund trotz einiger Risiken und Nachteile ihre Zucht weiter bringen würde.

Nelly kraulte dem Welpen nachdenklich das Fell und kehrte mit ihren Gedanken langsam in die Realität zurück. In der letzten Woche waren keine großen Worte mehr gefallen, und sie war davon ausgegangen, dass Dirk sich mit Frosts Anwesenheit abgefunden hatte. Hatte er in Wirklichkeit nur darauf gewartet, den Welpen irgendwie los zu werden? Nelly konnte und wollte es nicht glauben.

Sie ging zu dem Regal an ihrem Schreibtisch, das ihr Wohnzimmer vom Arbeitsbereich trennte. Sie zog den Ordner aus dem Regal, in dem sie Frosts Ahnentafel aufbewahrte. Darin war auch die Chipnummer angegeben, durch die jeder Hund einwandfrei identifiziert werden konnte. Sie nahm einen kleinen Zettel aus der Box und notierte die lange Zahl: 278605869800522.

Überprüft werden konnte eine Chipnummer nur durch ein Lesegerät. Da Dirk Zuchtwart war, hatten sie eins im Haus. Es fragte sich nur, wo? Frustriert über seine Unordnung suchte sie an diversen Orten, bevor sie es endlich in einem Schrank fand. Nelly griff sich den Welpen, ohne darauf zu achten, dass sie ihn erschreckte. Sie war zu nervös und wollte so schnell wie möglich sehen, was das Lesegerät anzeigte. Zitternd hielt sie es an sein Fell und suchte nach dem Chip. Der Welpe zappelte unter ihrer Hand und verdeckte die Ziffernfolge auf dem Notizzettel. "Noch einmal in Ruhe", murmelte Nelly, setzte sich auf den Stuhl, nahm den Welpen auf den Schoß und legte den Notizzettel deutlich sichtbar vor sich auf den Tisch. Es piepste leise und auf der Anzeigetafel erschien die Chipnummer. Sie lautete: 27..86..05..86..98..00..522.

Ungläubig starrte sie auf das Lesegerät. Die Chipnummer vom vermeintlichen Ocean war identisch mit der Nummer auf Frosts Ahnentafel.

WHITE Frost - Abschied von Atlantis
Gaby von Döllen
172 Seiten
ISBN 3-933055-16-4
EUR 13,90