Die schwarze Nase im Türspalt

oder: Versuch einer Charakteristik für den Weißen Schweizer Schäferhund

"Temperamentvoll, nicht nervös, aufmerksam und wachsam; gegenüber Fremden gelegentlich etwas zuürckhaltend, niemals ängstlich oder aggressiv." (Auszug Standard Weißer Schweizer Schäferhund) Leider fiel ein Teil der Charakterbeschreibung, die früher in einigen Standards der Vereine herum geisterte, der Anerkennung zum Opfer. Denn weiter hiess es: "zu vertrauten Menschen freundlich, zutraulich und anhänglich; leicht zu führen und ausgeglichen; begegnet unbekannten Umwelteinflüssen zuerst zurückhaltend-vorsichtig, dann neugierig." So fällt die Charakterbeschreibung im FCI-Standard NOCH kürzer aus und das ist schade. Denn das Wesen ist neben dem Aussehen ein sehr wichtiger Faktor bei der Auswahl der Rasse.

Der Standard einer Rasse sollte klar heraus stellen, wie der Hund auszusehen hat und wie er sich charakterlich zeigen sollte. Trotzdem wussten wir nicht, was gemeint war, als wir das erste Mal mit diesem Standard konfrontiert wurden, denn viele Begriffe sind Fachvokabular, mit dem man nicht viel anfangen kann. Der Standard beschreibt zunächst das optimale Aussehen des Weißen Schweizer Schäferhundes. Das möchten wir an dieser Stelle aber vernachlässigen, denn jeder wird sicherlich bereits einen gesehen haben. Was weitaus schwerer zu erfassen ist der Charakter.

Eigentlich ist es von vornherein schwierig, einen "typischen" Weißen Schweizer Schäferhund zu beschreiben, denn jeder ist ein Individuum für sich, mit speziellen Eigenschaften und Wesenszügen, die in ihrer Art einmalig sind. Jeder Besitzer sollte sich darüber klar sein, dass die Charaktereigenschaften durch viele Merkmale geprägt werden. Auf einige hat man Einfluss, auf andere nicht.

Dennoch gibt es Wesenszüge, die in einer Rasse überdurchschnittlich häufig auftreten und dadurch als "typisch" bezeichnet werden. Diese Wesenszüge sind im Standard verankert, wobei beim Weißen Schweizer Schäferhund ein sehr strittiges Merkmal aufgeführt wurde, nämlich die Zurückhaltung und Vorsicht.

"Freundlich, zutraulich und anhänglich"

Die sprichwörtliche Anhänglichkeit kommt vor allem zum Tragen, wenn der Weiße Schäferhund in der Familie lebt. Es passiert selten, dass er sich zurückzieht, um "allein zu sein". Im Normalfall wird er aufstehen, wenn ein Familienmitglied sich erhebt und rutewedelnd mit fragendem Blick erfahren wollen, was jetzt los ist. Geht man hinaus, folgt der Hund wie ein Schatten; und zwar überall hin. Sobald Sie vergessen, die Toilettentür korrekt zu schließen, wird Ihr Hund überprüfen, ob Sie sich tatsächlich noch im Raum aufhalten. Die Anhänglichkeit ist auf ihre Weise eine absolut liebenswerte Eigenschaft, die manchmal erhebliche Nerven kostet. Erstaunlich schnell hat er bereits mit wenigen Wochen gelernt, welche Plätze zudem noch "lohnend" sind.

Die meisten Weißen Schäferhunde halten sich gerne in der Küche auf und machen damit das Kochen zu einer spannenden Prozedur. Mit etwas Glück hat man ein Exemplar erwischt, das zur Gattung der Allesfresser gehört und so den Fußboden peinlich sauber hält. Auf jeden Fall aber beginnt man recht schnell darüber nachzudenken, sich nur noch Hängeschränke anzuschaffen. Der Hund liegt nämlich garantiert vor der Tür, die man öffnen möchte. Aus Erfahrung können wir Ihnen aber sagen: es macht Spaß, denn man ist ja nie allein. Wenn der erwachsene Hund über eine entsprechende Größe verfügt, wird er mit Sicherheit jeden Ihrer Handgriffe kontrollieren.

Rechnen Sie also damit: sobald Sie vergessen, eine Tür zu schließen und glauben, "sicher" vor dem weißen Schatten zu sein, wird eine dicke schwarze Nase im Türspalt erscheinen und sie langsam aufschieben. Die Freude, dass er Sie nun endlich wieder gefunden hat (und sei es nur im Nebenraum), ist kaum zu beschreiben. Es gibt eine Abhilfe: schließen Sie sämtliche Türen vorschriftsmäßig, wenn Sie ungestört bleiben wollen. Und achten Sie darauf, dass Ihr Hund niemals lernt, Türen zu öffnen. Das ist nämlich der nächste Effekt: bisher hat DAS noch jeder Weiße Schäferhund hinbekommen, der bei uns im Haushalt gelebt hat. Eine Tür, die sich nach innen öffnet, ist da auch kein Hindernis. Die Folge sind Kratzspuren an den Türen und teilweise auch an den Wänden. Wenn Sie die nicht verkraften können, denken Sie über die Anschaffung noch einmal nach.

Die Anhänglichkeit geht so weit, dass der Hund am glücklichsten ist, wenn sein ganzes Rudel beisammen ist. Dann liegt er mit Vorliebe auf den Füßen des Besitzers. Enge macht ihm hierbei überhaupt nichts aus. In die kleinste Ecke kann er sich zwängen und fühlt sich dabei sogar noch richtig wohl. Hauptsache bei "seinem" Menschen. Häufig führt das dazu, dass seine Menschen akrobatische Übungen vollführen müssen, um überhaupt einen Platz für Beine und Füße zu finden. Auch Besucher halten ihn nicht davon ab, "seinen" Platz zu beanspruchen, notfalls legt er sich auch beim Besuch auf die Füße oder zwängt sich gnadenlos zwischen Tischbein und Besucherbein an die erwünschte Stelle. Hierbei zeigt sich ein extrem egoistischer Zug, rücksichtslos werden sämtliche Körperteile eingesetzt, um den Lieblingsplatz auf irgendeine Weise zu erreichen. Ist es mit Drängeln und Schubsen nicht möglich, wird der Hundeblick und die Pfote eingesetzt. Auch wenn's bei Ihnen nicht mehr wirkt, fast jeder Besucher wird Ihrem Hund mit einem "ach, ist das niedlich" Platz machen.

Bei Spaziergängen führt das Zusammengehörigkeitsgefühl dazu, dass er versucht, das Rudel zusammen zu halten. Er ist ein Schäferhund und wo keine Schafe sind, fühlt er sich halt für das Menschenrudel verantwortlich. Er läuft von vorn nach hinten, von hinten nach vorne, um sicher zu stellen, dass auch wirklich niemand verloren geht. Besonderes Augenmerk gilt hierbei übrigens den Kindern. In diesem Zusammenhang möchten wir erwähnen, dass ein Weißer Schäferhund den Schutz der Familie hierbei durchaus ernst nimmt, selbst wenn er keine diesbezügliche Ausbildung genossen hat. Am Wohlsten fühlt sich der Hund natürlich, wenn er frei und zwanglos laufen darf. Er wird sich über jeden freuen, der ihn auf dem Spaziergang begleitet, und das nicht nur zu Anfang. Zwischendurch führt er Begrüßungszeremonien durch, als hätte er diese Menschen seit Jahren nicht gesehen. Hoffen Sie, dass er nicht gerade vorher auf einem nassen Acker getobt hat... Junge Hunde neigen dazu, sich gegenüber jedem Spaziergänger so freudig zu verhalten. Schön, wenn der Hund ein solches Vertrauen in die Menschen hat und von niemandem etwas Böses erwartet. Es zeigt die Offenheit und Aufgeschlossenheit der Rasse und ist ein Beweis für eine sorgfältige Aufzucht. Das sollten Sie im Hinterkopf haben, wenn sich einer der Spaziergänger vielleicht nicht so erfreut zeigt und Ihnen einige Tage später die Rechnung der Reinigung präsentiert. Oft gibt sich diese Überschwänglichkeit mit der Zeit und der Hund reagiert nur, wenn die fremde Person ihrerseits den Kontakt zum Hund aufnimmt.

Allerdings ist der Weiße Schweizer Schäferhund zu temperamentvoll, um immer nur an Ihrer Seite zu laufen. Er wird sich durchaus selbständig entfernen, um mit einem anderen Hund zu spielen (wenn Sie das zulassen), um einer Spur zu folgen oder um einfach nur seinen "Interessen" nachzugehen. Dabei wird er normalerweise in Sichtweite bleiben. Sie haben keinen Jagdhund, keinen Husky, der selbständig seiner Wege geht und dabei seine Menschen aus den Augen verliert. Dazu ist der Weiße Schäferhund viel zu menschenbezogen. Er wird über Wiesen und Felder toben, aber zwischendurch immer wieder zu Ihnen zurückkehren, um zu überprüfen, ob noch alle da sind.

Kein Jagdhund?!

Das bedeutet jedoch nicht, dass er nicht dem "Hobby" jagen nachgeht. Hat er erst einmal entdeckt, dass es artfremde Vierbeiner gibt, die man jagen kann, seien es nun Katzen, Hasen oder Rehe, so wird er diesem Vergnügen auch gegen Ihren Willen nachgehen. Er wird sein Jagderlebnis auskosten, um dann relativ schnell zu Ihnen zurück zu kehren. Abgekämpft, aber glücklich. Wahrscheinlich im Gegensatz zu Ihnen, da Sie wissen, wie gut manche Jäger auf Hunde zu sprechen sind. Es ist eine harte Aufgabe, den Hund davon abzuhalten. Sie werden nicht die massiven Probleme bekommen, die Besitzer eines Jagdhundes haben. Aber Sie werden kaum vermeiden können, dass Ihr Hund nicht doch einmal ein Reh oder eine Katze vor Ihnen sieht und losprescht.

Vielseitig, leichtführig und intelligent!

Der Weiße Schäferhund ist vielseitig einsetzbar. Wenn Sie einen Sporthund suchen, können Sie hier fündig werden. Die Rasse ist von der Größe her ideal für die verschiedenen Hundesportarten und seine Leichtführigkeit und Intelligenz sorgen dafür, dass er hier Erfolge erzielt. Voraussetzung ist allerdings, dass Sie in der Lage sind, ihn richtig zu erziehen und zu lenken. Damit kommen wir zu einer weiteren Wesenseigenschaft, die gerade Hundesportler nicht gerne wahrhaben wollen. Der Weiße Schäferhund ist im Wesen ein sehr sensibler Hund. Sensibel heißt nicht ängstlich, sondern er ist ein "Gefühlshund". Er mag keinen Kasernenhofton und er mag keine übermäßige Strenge. Es wird leider häufig als Ängstlichkeit bezeichnet, wenn der Hund, wenn er angebrüllt wird ( oder Schlimmeres) sich duckt, die Rute einklemmt und die Ohren anklappt. Ein Hund, der so reagiert, ist weder ein Angsthase noch ein Weichei. Die Unfähigkeit liegt allein beim Besitzer, der nicht erkennt, dass der Hund aus Freude gehorchen sollte und nicht aus Angst vor Strafe. Ein gewisses Maß an Konsequenz ist in der Erziehung notwendig, aber gerade beim Weißen Schäferhund ist es wichtig, dass nicht übertrieben wird. Wenn der Hund gar nicht weiß, was der Besitzer von ihm erwartet, kann er es auch nicht korrekt ausführen. Mit Ruhe und Geduld liegt man beim Weißen Schäferhund richtig. Es liegt in seiner Natur, zu arbeiten, er liebt die Abwechslung und steht Neuem grundsätzlich interessiert gegenüber. Es liegt an Ihnen, ihm zu zeigen, was Sie von ihm wollen. Zwang und Härte sind beim Weißen Schäferhund weder notwendig noch nutzbringend.

Durch den engen Bezug zum Menschen ist es jedem Weißen Schäferhund zu wünschen, dass er sein Leben innerhalb der Familie und nicht als Zwingerhund fristen muss, der nur akzeptiert wird, wenn er als Sporthund auf dem Platz seine Leistung bringt. Dieses Leben hat kein Weißer verdient!

Die Rasse eignet sich neben den Hundesportarten auch als Reitbegleithund, als Rettungs- und Blindenführhund. In Ergänzung zu den üblichen Spaziergängen ist er auch für lange Fahrradtouren zu begeistern und die meisten Weißen Schäferhunde sind leidenschaftliche Schwimmer und regelrechte "Seehunde".

Ein Familienhund....

Genau dieses Wesen macht ihn auch zum Familienhund par excellence. "Kinderliebe" und "Familienfreundlichkeit" sind Begriffe, die inzwischen fast jede Hunderasse für sich in Anspruch nimmt. Es sind Schlagworte, die ankommen und verkaufsfördernd wirken. Vielleicht haben Sie an den Ausführungen, die bis hier gemacht wurden, schon gemerkt, dass bzw. warum sich diese Rasse gut für eine Familie eignet. Sie binden sich sehr stark an den bzw. die Menschen. Damit sind sie gut zu integrieren. Sie sind leicht und gut zu erziehen. Das ist ebenfalls für eine Familie wichtig, wo normalerweise ein mehr oder weniger gestresster Erwachsener für Kinderbetreuung sorgen muss und nun zusätzlich einen Hund erziehen soll. Je weniger Ansprüche der Hund hier stellt, desto besser. Ein Weißer Schäferhund braucht allerdings Auslauf und Beschäftigung, die sich nicht allein auf Spaziergänge beschränkt. Ein Weißer Schäferhund muss auch geistig gefordert werden, Suchspiele, aber auch kleine Übungen und Aufgaben bieten ein weites Betätigungsfeld. Ansonsten sind auch hier Probleme zu erwarten. Ein nicht ausgelasteter Hund wird sich seine Beschäftigung suchen - und wenn er Ihre Möbel und Auslegeware auseinander nimmt.

"...ausgesprochene Kinderliebe..."

Ein Weißer Schäferhund ist aber normalerweise mit der Stellung in der Familie glücklich und zufrieden, die ihm zugewiesen wird. Das setzt natürlich eine korrekte Erziehung sowie auch eine gute Prägung der Welpen beim Züchter voraus. Er ist für die Kinder ein Spielkamerad und Wächter. Bei kleineren Kindern hat er eine hohe Reizschwelle, er lässt sich viel gefallen, allerdings auch nicht alles. Irgendwann wird er "warnen" und danach nach Möglichkeit ausweichen. Größere Kinder begleitet er mit großer Begeisterung auf Abenteuertouren, eignet sich als "Wolf" beim Indianerspiel und wird auch nicht zögern, Ihren Nachwuchs bei sommerlichen Schwimmtouren im See zu begleiten. Er tröstet bei Stürzen und auch, wenn die Eltern "kinderfeindliche" Entscheidungen getroffen haben. Allerdings wird es kein Hund mit "Lassie" aufnehmen können und letztlich sollten Sie "Kind und Hund" nie allein und unbeaufsichtigt lassen. Ein Hund (egal, welcher Rasse) ist ein Lebewesen und das lässt sich nicht beliebig programmieren. Sie und Ihre Erziehung werden den Hund prägen und Ihr Verhalten dem Hund gegenüber sollte ein Vorbild für die Kinder sein.

"Schutz" des Rudels

Die Rasse wurde ursprünglich zum Schutz von Herden gezüchtet und es wurde in der Zucht eine entsprechende Auswahl getroffen. Der Wandel der Zeit hat zur Folge gehabt, dass immer weniger Schäferhunde ihrer ursprünglichen Bestimmung entsprechend eingesetzt werden. Dennoch ist diese Veranlagung vorhanden und der Hund wird auf Gefahren entsprechend reagieren. Allerdings nicht nur auf tatsächliche, sondern auch auf solche, die er als Gefahr erachtet. Sie sollten sich dessen bewusst sein, wenn Ihr Hund sich wie ein Wilder gebärdet, weil jemand das Grundstück betreten will.

Der Schutzinstinkt ist in manchen Hunden sehr stark, in anderen weniger stark vorhanden. Sie sollten sich vor dem Kauf überlegen, wie Sie diese Eigenschaft generell bewerten und gegebenenfalls in der Lage sind, diese zu kontrollieren.

Gehorsam und Leichtführigkeit

Ein Rittmeister ist für die Rasse "verantwortlich", der ideale Hund musste für ihn neben einigen anderen Eigenschaften vor allem eines haben: Gehorsam. Bei den deutschen Schäferhunden ist der unbedingte Gehorsam bis heute zu beobachten. Wer auf einem Schäferhundplatz der "alten Schule" (und davon gibt es noch viele) zuschaut, wird dort kurze präzise Anweisungen in zackigem Ton seitens des Herrn vorfinden und Hunde, die diese Kommandos bedingungslos in beeindruckender Präzision, oft allerdings auch mit einer erstaunlichen Unterwürfigkeit ausführen. Man sollte meinen, Kasenenhofton und maschinenhafte Ausführung seien längst von den modernen Ansichten zu Hundeerziehung und -haltung überholt: hier findet man die Ausnahme der Regel.

Die Rasse, die Rittemeister von Stephanitz vorschwebte, sollte gehorsam sein, gleichzeitig aber intelligent genug, um schnell zu lernen und in gewissem Rahmen selbständig zu arbeiten. Ein vielseitiger Arbeitshund, der jederzeit und überall unter dem Kommando des Herrn steht. Dies war das Ziel, das auch erreicht wurde. Nicht umsonst wurde der Deutsche Schäferhund "der" Hund schlechthin in vielen Bereichen. Der Weiße Schäferhund besitzt natürlich auch viele dieser Eigenschaften, geht er doch auf die gleichen Hunde zurück. Er ist sehr gelehrig, das heißt, er versteht sehr schnell, was von ihm erwartet wird und kann es in kurzer Zeit korrekt umsetzen. Er ist lernwillig und intelligent. Diese Voraussetzungen machen ihn zum idealen Hund für alle Arten von Herausforderungen, seien es Kunststückchen, "Hilfen" im alltäglichen Bereich oder auch im Hundesport. Wer sich gerne und viel mit dem Hund beschäftigt, kann sich von ihm in kürzester Zeit Zeitung oder Hausschuhe bringen, das Licht anknipsen lassen und ihn im Winter als "Schlittenhund" für die Kinder einsetzen.

Leichtführig bedeutet natürlich auch, dass die notwendigen Kommandos, die ein Hund beherrschen sollte, innerhalb kürzester Zeit erlernt werden können. Wie präzise nachher die Ausführung sein soll und muss, liegt in der Entscheidung des Besitzers. Die Veranlagung zum "Perfektionismus" bringt die Rasse allemal mit.

Gehorsam ist eine sehr angenehme Eigenschaft, die man sehr schnell schätzen lernt, wenn man sich während des Spaziergangs noch auf andere Dinge konzentrieren muss. Ein Reiter wird diese Eigenschaft ebenso zu schätzen wissen wie eine Mutter, die neben dem Hund noch einen Kinderwagen schieben und ein Kleinkind vor Ausflügen auf die Strasse bewahren muss. Wenn der Hund in diesen Situationen zuverlässig im Gehorsam steht und auch auf Entfernung wie tot umfällt, wenn das Kommando "Platz" ertönt, ist das eine sehr große Erleichterung. Ein Weißer Schäferhund wird diesen Gehorsam schnell und zuverlässig erlernen, wenn Sie in der Lage sind, sich auf seine Art einzustellen und ihm die Aufgaben korrekt zu vermitteln. Trotzdem sollten Sie den Zeitaufwand nicht unterschätzen. Selbst wenn der Hund gelernt hat, Wörter mit bestimmten Handlungen zu verknüpfen, muss doch kontinuierlich wiederholt werden.

Eine perfekte Rasse?

Für viele sicherlich. Eigentlich für fast alle Besitzer, da schließen wir uns -natürlich- nicht aus. Das ging sicherlich auch aus der Beschreibung hervor. Dennoch - der Standard weist eine Charaktereigenschaft aus, die vielerorts als negativ gesehen wird und die schnellstens gestrichen und weggezüchtet werden sollte. Sagen die einen. Die anderen meinen, gerade das mache die Eigenart der Rasse aus.

Streitthema Zurückhaltung

Wir sprechen von der Zurückhaltung, von der Reserviertheit Fremden gegenüber und von der Ängstlichkeit. Letztere steht nicht im Standard, ist aber eine Folge der erstgenannten Eigenschaften. Nämlich dann, wenn sie zu stark zur Geltung kommen.

Der Standard gibt genau Auskunft darüber, wie sich ein Weißer Schäferhund verhalten sollte. Unbekannten begegnet der Hund zunächst zögernd und zurückhaltend. Damit ist gemeint, dass er nicht jedem Menschen gegenüber sofort mit allen Pfoten um den Hals fällt. Bei vertrauten Personen ist dies, im übertragenen Sinne, durchaus der Fall. Mit Fremden muss er erst Freundschaft schließen. Oft zieht er sich zunächst zurück, um dann seinerseits eine Annährung zu riskieren. Auch Umwelteinflüssen begegnen viele Weiße Schäferhunde zunächst mit einer gewissen Skepsis. Sie neigen dazu, sich zurück zu ziehen. Danach siegt die Neugierde. Viele Hunde laufen zunächst um das "Neue", sei es nun ein Gegenstand oder eine Person, herum, um sich vorsichtig von hinten zu nähern. Auf den Punkt gebracht: die Weißen Schäferhunde haben ein vorsichtiges, sicherheitsgeprägtes Verhalten.

Es stellen sich nun viele, Zuchtausschüsse in Vereinen, Züchter und auch Besitzer die Frage, ob dieses Verhalten in dieser Form überhaupt wünschenswert ist. Ist es eine liebenswerte, typische Eigenschaft, ohne die der Weiße Schäferhund kein Weißer Schäferhund im eigentlichen Sinne mehr wäre? Es gibt einige Rassen, die ein ähnliches Verhalten im Standard beschrieben haben und auch an den Tag legen: der Beauceron zum Beispiel. Dennoch: wer diese Eigenschaften als negativ ansieht, möchte sie natürlich verändern. Gewünscht ist ein Hund, der vor nichts zurückschreckt, der allen Personen und Umwelteinflüssen offen und unbeeindruckt gegenübersteht. Dieser Typ Weißer Schäferhund würde für bestimmte Zwecke sicherlich besser geeignet sein als der "derzeitige" Typ. Aber die generelle Frage ist und bleibt: soll darauf hingewirkt werden, dass die Rasse die vorsichtige und zurückhaltende Art ablegt? Diese Frage kann nur jeder für sich selber beantworten, denn die Antwort hängt von der persönlichen Einstellung ab und davon, warum man gerade den Weißen Schäferhund bevorzugt.

Eine Gefahr bringt dieser Charakterzug jedoch mit sich: die Grenze zur Ängstlichkeit, zur Scheu ist sehr schmal. Und hier beginnt das Dilemma. Der ängstliche, fast panisch-scheue Weiße Schäferhund spukt in vielen Köpfen herum. Ein Zurückweichen, das bei einer anderen Rasse akzeptiert worden wäre, wird beim Weißen Schäferhund mit dem verständnisvollen Kommentar quittiert "ach ja, typisch Weißer Schäferhund, die sind alle so." Zugegeben, auf Dauer nervt es und man wünscht sich, einen Hund an der Leine zu haben, der es mit allem aufnimmt (und denkt nicht daran, dass das andere Probleme herauf beschwört). Es muss hier klar gesagt werden: ein Weißer Schäferhund, der ängstlich reagiert, entspricht nicht dem Standard. Gerade dadurch, dass die Rasse bis vor kurzem nicht anerkannt aber dennoch gefragt ist, war und ist der unkontrollierten Zucht Tür und Tor geöffnet. Hier gibt es keine Wesenskontrolle, hier beschäftigt sich niemand extrem mit den Welpen, die etwas zuviel Zurückhaltung in die Wiege gelegt bekamen.

Die Rasse hat in dieser Hinsicht ein Negativimage, ohne Frage. Aber es bereinigen zu wollen, indem man es "allen zeigt" und damit womöglich die Charakteristik der Rasse zerstört, kann der falsche Weg sein. Ziel sollte es sein, über Wesensüberprüfungen die Hunde zu ermitteln, die dem Standard entsprechen und mit diesen Tieren zu züchten. Extrem scheue, ängstliche Tiere müssen ebenso von der Zucht ausgeschlossen werden wie die, die in anderen Bereichen nicht dem Standard entsprechen.

Der Weiße Schäferhund hat durch die Ausgrenzung in Europa die Chance erhalten, einen Neuanfang als eigenständige Rasse zu machen. Viele Länder erkannten bereits vor einigen Jahren, dass eine eigene Rasse mit eigenständigem Aussehen und Charakter entstanden ist und haben die Rasse als "Weißer Schäferhund" anerkannt. Dem hat sich die FCI 2003 angeschlossen und die (vorläufige) internationale Rasseanerkennung ausgesprochen. Der Weiße Schäferhund ist in vielerlei Hinsicht "anders", nicht nur in der Farbe. Diese Andersartigkeit gilt es zu bewahren - ein Weißer Schäferhund, der die Kompromißlosigkeit und Härte eines Deutschen Schäferhundes an den Tag legt, ist im Hundesport womöglich erfolgreich. Ob es aber dann noch der Typ Hund ist, der in den vergangenen Jahren die Herzen der Menschen im Sturm erobert hat, die nach einer sympathischen, gelassenen und extrem menschenbezogenen Alternative gesucht haben? Es gibt bereits heute viele Besitzer, die die Leistungsausrichtung kritisch sehen, es gibt aber ebenso Züchter und Zuchtverantwortliche, die sich einer neuen, leistungsbetonten Ausrichtung entgegenstellen. Die Rasseentwicklung ist mit Sicherheit niemals abgeschlossen - die Richtung scheint im Moment jedoch nicht deutlich erkennbar.

Der Weiße Schäferhund, unter Einhaltung der in den großen Vereinen geläufigen Zuchtrichtlinien gezüchtet, sorgfältig aufgezogen und sozialisiert, ist mit Sicherheit ein Hund, der in die heutige Zeit passt. Diese Charakteristik war ein Versuch, den "typischen" Weißen Schäferhund zu beschreiben. Jeder Hund ist ein Individuum und für jeden Besitzer sollte der eigene Hund (trotz oder wegen aller Eigenarten) der beste und schönste sein.

Copyright: Gaby von Döllen, Worpswede, im März 2003, überarbeitet 2010. Das Kopieren und die Verwertung dieses Artikels, auch auszugsweise, bedarf der schriftlichen Genehmigung der Autorin.