Suebull's Indian Spirit "Indy"

17. April 2016 bis 24. April 2016: In Indys Heimat

Die lange Wartezeit war vorbei. Merkwürdig, dass es rückblickend doch wieder kurz erscheint. Als hätten wir uns gestern erst entschieden. Dabei lagen zwischen der Entscheidung und unserer Fahrt knapp vier Monate. Am 16. April fuhren wir mit der Fähre von Kiel nach Göteborg. Am nächsten Morgen ging es mit dem Auto weiter zunächst von Göteborg nach Katrineholm, um beim Ferienhaus einzuchecken. Dieser Aufenthalt wurde sehr kurz, schließlich war das Wichtigste an diesem Tag, Indy in Empfang zu nehmen.

Aufgewachsen ist Indy gemeinsam mit seiner Mutter Alice (Riddarängens Austin) und Opa Polle (Ingrids Vita Apollon) auf einem Hausboot in Södertälje. Als wir ankamen, tobten bereits drei Welpen durch das Boot. Neben Fia, die bei Züchterin Sussie bleibt, war Isis mit ihrer Besitzerin gekommen. Natürlich gab es an diesem Nachmittag und Abend nur ein Thema: Weiße Schäferhunde. Dazwischen: Indy. Ein kleiner Hund, der zu diesem Zeitpunkt nicht wußte, dass sich sein Leben an diesem Tag ändern wird. Für ihn sind wir Besucher, die er begeistert begrüßt, sich dann aber wieder den anderen Vierbeinern zuwendet.

Das letzte Treffen mit den Schweden lag lange zurück, es gab viel zu reden. Erst gegen Mitternacht brachen wir auf: Tränenreiche Verabschiedungen. Ein verwirrter kleiner Indy kämpfte gegen die Hände, die ihn in unser Auto beförderten - weg von Alice, seinen Geschwistern und Sussie. Und weg von seinem Zuhause. Glück und Verzweiflung können so nah beieinander liegen. Doch der Kleine war todmüde, auch er hatte einen langen Tag hinter sich. Er rollte sich zwischen Malin und Lilja auf der Rückbank zusammen und schlief fast augenblicklich ein. Es wurde still im Auto. Bei leiser Musik fuhren wir die 100 Kilometer durch die Nacht nach Katrineholm. Nach kurzem Spiel mit Indy legte er sich widerstandslos auf die Decke vor das Bett und schlief weiter. Der nächste Morgen. Der erste Tag mit unserem neuen Weißen Schäferhund. Ein merkwürdiges Gefühl. Plötzlich wird der Tagesablauf wieder bestimmt von einem kleinen Vierbeiner. Doch bevor sich Vertrauen einstellen kann, müssen wir uns erst besser kennenlernen. Dazu soll diese Woche im Ferienhaus Katrineholm dienen. Fern von Alltag und Verpflichtungen bleibt uns viel Zeit füreinander.

Indy ist bereits 15 Wochen alt, wiegt 20 Kilo. Ein schlaksiger junger Hund, dem das Welpenhafte bereits fehlt. Leider. Die Importregeln machten eine frühere Übernahme unmöglich. Jeder Hund,der nach Deutschland eingeführt wird, muss über eine Tollwutimpfung verfügen, die 21 Tage alt ist. Und da die Tollwutimpfung erst ab der 12. Woche möglich ist, blieb uns keine Wahl. Uns fehlen also 7 Wochen, in denen im Leben eines Welpen viel abläuft. Wie groß dieser Nachteil - vielleicht ist es auch ein Vorteil? - ist, können wir zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht einschätzen. Für Züchterin Sussie war es definitiv ein Nachteil: Ihr und ihrer Familie fiel die Abgabe richtig schwer.

Ganz früh morgens erwachte ich. Kein Geräusch ist zu hören. Eine gute Gelegenheit, mit Indy rauszugehen. Die Natur erwacht gerade. Morgendämmerung. Einige Reiher auf der Wiese vor dem See beschimpfen uns lautstark. Das Echo wirft die Schreie vielfach zurück. Noch sind keine Sonnenstrahlen zu sehen, lediglich eine Dämmerung mit ersten Morgennebeln. Fast andächtig bleibe ich stehen, vergesse, Indy zu loben, der völlig unromantisch auf den Boden pieselt. Die Natur nimmt mich völlig gefangen. Es fühlt sich an, als wäre ich mitten in meinen eigenen Roman gefallen - die Beschreibung passt beängstigend genau. Der See, der Steg, die dorthin abfallende Wiese. Nein, ich war noch nie hier - aber ich war bereits oft in Schweden. Es gibt hier viele Orte wie diesen. Mit Mühe reiße ich mich von dem Anblick los und wende mich Indy zu. Er beachtet die Reiher nicht. Dafür aber die eingerollten Heuballen. Zum ersten Mal zeigt er echten Stress. Die Ballen sind in weiße Folie eingerollt, die Seiten haben sich gelöst und flattern fröhlich im Wind. Indys wütendes Bellen wird von aufgeregten Reihern beantwortet. Neben den Ballen liegen einzelne Stücke abgerissener Folie. Ich hebe sie auf, nehme sie mit und befestige sie an unserer Terrasse. Fortan muss Indy bei jedem Spaziergang an dieser Flatterfolie vorbei. Bereits am nächsten Tag stört sie ihn nicht mehr.

Ein Vorteil seines Alters ist die Stubenreinheit. Von Anfang an gab es keine "Unfälle". Zwar hielten wir einen 4-Stunden-Rhythmus ein, doch das wäre gar nicht notwendig gewesen. Auf der Rückfahrt nach Deutschland bewies er uns, dass 9 Stunden kein Problem sind, wenn die einzige Alternative die Hundesandkiste auf der Fähre ist.

In den nächsten Tagen lernten wir unser neues Familienmitglied immer besser kennen. Die Trennung schien er gut zu verkraften, doch auf der anderen Seite war deutlich zu erkennen, wie stark die Sicherheit durch Alice, Polle und Fia war. Nun ist Indy allein - und damit extrem unsicher. Sicherlich hat er vieles bereits kennen gelernt, doch nun, wo er allein davor steht, ist er überfordert. Doch wir haben Glück: Das Ferienhaus liegt sehr ländlich, äußere Einflüsse sind begrenzt und wir sind vier Menschen, die ganz viel Zeit haben.

Ich gehe allein mit Indy zum See, um ein paar Fotos zu machen. Die lange Biothane-Schleppleine tat gute Dienste. Freilauf wäre riskant, es ist schwer einzuschätzen, wie stark Indys Folgedrang noch ist. Außerdem ist Brut- und Setzzeit, da gelten auch in Schweden entsprechende Vorschriften. Indy versteht schnell, dass sein Radius auf 7,5 Meter begrenzt ist. Ebenso schnell realisiert er, dass er von mir kurz vor Ende der Leine einen Warnruf erhält. Er läuft selten in die Leine, nutzt sie aber vollständig aus. Ängstigt ihn etwas, wirkt er verwirrt, kommt aber nicht zurück zu mir, um Schutz zu suchen. Das Vertrauen muss erst noch hergestellt werden.

Gleich am ersten Abend lernt Indy sein erstes deutsches Wort: "Nein"! Mal mit einem, mal mit drei Ausrufezeichen. Die psychologische Vorgabe siebenmal loben gegen ein Nein lässt sich in den ersten Tagen überhaupt nicht einhalten. Ich spüre den Unterschied deutlich: Ein alter Hund ist etwas völlig anderes als ein Welpe. Karhu ... viele Jahre waren wir ein eingespieltes Team, Grenzen wurden nur mit Augenzwinkern überschritten. Ein sehr entspanntes Zusammenleben. Doch jetzt gilt es, ein neues Kapitel aufzuschlagen. Hier sitzt, läuft, wuselt ein junger Hund, der auf seinem Weg in das Leben angeleitet und begleitet werden will. Trotz aller Freude über Indy mischt sich immer wieder Trauer in die Gefühle. Karhus Verlust ist wieder allgegenwärtig, die Gefühle sind wieder in Aufruhr. Ich bemühe mich um Abgrenzung - Indy hat volle Aufmerksamkeit verdient.

Denn Indy meistert den Wechsel zu uns hervorragend. Er ist ein fröhlicher Welpe, bereit, alles Neue zu entdecken, ganz gleich, ob es ihm Angst macht oder nicht. Er fühlt sich offensichtlich wohl und genießt das Leben mit allem, was es einem kleinen Welpen zu bieten hat. Die Grenzen, die wir ihm setzen, beschränken sich auf das Notwendige. Regeln, die im Zusammenleben mit uns von nun an gelten werden.

Unser Indy ist ein leidenschaftlicher Sammler. Alles, wirklich alles, wird aufgesammelt, durchgekaut, zerlegt und ... leider zu oft heruntergeschluckt. Ich bemühe mich, die Neins in vertretbarem Rahmen zu halten und mich nicht auf ein Krieg-mich-doch-Spiel einzulassen. Selbst zu viert werden wir der Sammelleidenschaft des Kleinen kaum Herr. Und er lernt enorm schnell. Vor dem Ferienhaus steht ein Kastanienbaum, die Kastanien darunter wurden nicht aufgesammelt - warum auch? Zu Indys Freude übrigens. Am ersten Tag lernt er: Kastanien sammeln, kauen, runterschlucken ist Pfui, Nein, Aus. Ab Tag 2 entwickelt und verbessert er seine Technik, Kastanien unauffällig in der Schnauze zu verstecken. Vorzugsweise, bevor er ins Haus zurückkehrt. Die Familie entwickelt eine Gegentechnik: sobald das Plopp einer auf den Boden gefallenen Kastanie im Haus ertönt, wird der Hund unauffällig eingekreist, Fluchtwege abgeschnitten und die Beute abgenommen.

Eine gefährliche Eigenschaft, die möglichst schnell unterbunden werden sollte. Nur: wie? Die Neins häuften sich, glücklicherweise versteht er schnell, dass das nicht erwünscht ist. Parallel dazu wurde die Futterschüssel nicht nur hingestellt, sondern Fressen nur auf ein Kommando (nimm's) erlaubt. Gleiches gilt für Leckerlis, sofern sie nicht eine bestimmte Handlung in diesem Moment belohnen sollen. Zum einen ist dies Vorarbeit für z.B. Besuchsdienste, bei denen er keinesfalls alles Angebotene nehmen darf. Zum anderen können wir damit das Fressen am Wegesrand mit etwas Glück vermeiden. Das alles braucht seine Zeit.

Selbst wenn er bereits aus dem ersten Welpenalter heraus ist, ist Indy noch ein sehr junger Hund, auf den nun viele Eindrücke einstürmen. Das sichere Zuhause gibt es nicht mehr. Vieles kann er nicht wissen, oft ist die Neugierde größer als der Wunsch, dem Menschen zu gefallen / gehorchen. Geduld und Verständnis sind die Zauberworte für unsere erste Zeit mit dem neuen Familienmitglied. Vertrauensbildung ist der wichtigste Grundstein, den es jetzt zu legen gilt. Auch wir lassen nicht alles durchgehen. Indy muss erkennen, dass er in uns Menschen an die Seite bekommen hat, denen er in jeder Situation vertrauen kann. Dass wir niemals Gefährliches oder Unmögliches von ihm erwarten. Dazu gehören auch konsequente Entscheidungen, die ihm nicht gefallen. Gleichzeitig empfinde ich es als überhaupt nicht notwendig, auf Spaziergängen Kommandos einzuüben, die über das zwingend Notwendige hinausgehen. Für Sitz und Platz bleibt später noch genügend Zeit.

Im Haus sieht die Sache schon etwas anders aus. Aber auch hier haben wir einen Vorteil: die Umgebung wird mit der Heimkehr noch einmal verändert. Somit dienen die ersten fünf Tage dem lockeren Kennenlernen mit einigen wenigen konsequent durchgesetzten Regeln. Sofas, Stühle und vor allem Betten sind tabu! Das sah in seinem früheren Zuhause anders aus, das Sofa war durchaus ein Liegeplatz. Indy lernte schnell, es reichten einige wenige Gelegenheiten, danach hielt er sich (meistens) an diese Regel. Das hatte ich mir viel schwerer vorgestellt.

Anspringen - ein ebensolches Tabu. Für uns, wohlgemerkt. Anspringen ist ein Ausdruck von Freude, von Begrüßung, für den Hund also ein äußerst positives Verhalten. Leider unpassend für das Leben in menschlicher Umgebung. Bei meiner Idee, ihn später zu Besuchsdiensten u.a. in Altenheimen einzusetzen, sogar fatal und gefährlich. Gegen das Anspringen gibt es m.E: ein recht passables Mittel: Wer sich hinunterbeugt und die Freude mit Worten und Gesten erwidert, löst keinen Frust aus, sondern "erfindet" für das Mensch-Hund-Team eine neue Begrüßungszeremonie. Bei Fremden wird das Anspringen sofort und konsequent mit "nein!" unterbunden. Auch hierbei lernte Indy schnell, selbst wenn hin und wieder die Pferde mit ihm durchgehen.

In diesen ersten fünf Tagen lernten wir Indy als einen immer fröhlichen, Umwelteinflüssen gegenüber jedoch leicht unsicheren Hund kennen. Alles Ungewöhnliche wurde verbellt, dazu gehörten Kühe, Stohballen, verrostete Zinkwannen und die zahlreichen landwirtschaftlichen Geräte, die auf dem Hof der Hauseigentümer herumstanden. Die großen Steine in der Gegend galten ebenfalls als potentielle Feinde, die es zu erschrecken galt. Dabei kam es auch sehr stark auf die Situation an. Was heute gefährlich war, konnte morgen schon von ihm als normal angesehen werden. Innerhalb der Familie war viel Kommunikation notwendig. Angebellte Gegenstände wurden wieder und wieder in die nächsten Spaziergänge eingebunden. In den meisten Fällen genügte es, ruhig an die Gegenstände heranzugehen. Indy folgte dann mit Sicherheitsabstand und schaute sich das "Ding" genau an. Meist war es damit getan - am nächsten Tag reagierte er nicht mehr darauf.

Der Spaßfaktor kam nicht zu kurz. Viel freie Zeit ist etwas Herrliches. Und ein Hund als Begleiter ebenfalls. Die großen Felsen auf der Wiese dienten zum Klettern und zum Ausruhen. Mit einem Buch mitten in der Natur, der Hund entspannt neben mir ... blauer Himmel, ziehende Wolken ... das ist Schweden, das ist pure Entspannung. Diese Gelassenheit überträgt sich natürlich auf den Hund. Der See bot einen fantastischen Hintergrund zum Fotografieren, Indy einzubinden bedeutete allerdings ein Geduldsspiel. Zunächst einmal reagierte er äußerst skeptisch auf Wasser - merkwürdig für einen Hund, der auf dem Hausboot aufgewachsen ist. Möglicherweise war es die Kombination mit dem stärkeren Wind. Auch hier dauerte es ein bis zwei Tage, bis er uns ohne zu zögern bis ans Wasser folgte und Tannenzapfen herausfischte. Das nächste Hindernis wurde der Bootssteg. Gut, er war so wackelig, dass wir selber nicht wussten, wie haltbar die Konstruktion ist. Am Ende siegten unsere und Indys Neugierde.

Nach einer Woche war die schöne Zeit vorbei. Eine lange und anstrengende Fahrt nach Deutschland lag vor uns. Indys Platz war wieder auf dem Rücksitz. Mitten in der Nacht ging es los und bis spät in den Morgen hinein verschlief Indy ruhig und gelassen. Als er unruhig wurde, hatten wir bereits etliche Kilometer Richtung Trelleborg hinter uns gebracht. Pause an einem Einkaufszentrum - eine neue Herausforderung. Indy reagierte mit Unsicherheit und Bellen - sein übliches Verhalten. Ich setzte mich mit ihm auf die Treppen vor dem Haupteingang. Die Menschen nahmen das Bellen unseres Hundes kaum ernst, beachteten ihn einfach nicht. Das führte dazu, dass seine Aufregung sich sehr schnell legte und er das Geschehen ohne zu bellen beobachtete. Erst wenn er angesprochen wurde, reagierte er mit aufgeregtem Bellen - ihm das abzugewöhnen, wurde eine langwierige Aufgabe. Diese Unterbrechung hatte ihn angestrengt. Bis Trelleborg schlief er im Auto.

Die Reise ging von Trelleborg nach Rostock, für die 6-stündige Überfahrt hatten wir eine Kabine gebucht. Eine Rückzugsmöglichkeit für Indy und eine Gelegenheit zur Ruhepause für uns. Inzwischen waren wir knapp 10 Stunden unterwegs. Das Autodeck mit seinen ungewohnten Geräuschen, der Lärm und die Unruhe, die durch die Autoinsassen entstand, die nun alle ihr Gepäck ausluden: Das beeindruckte Indy wenig. Lärmquellen bedeuteten nie ein Problem für ihn. Sobald jemand auf den süßen Hund aufmerksam wurde und ihn gar streicheln wollte - da war seine Geduld am Ende. Die Fahrstuhlfahrt meisterte er ebenfalls völlig gelassen, obwohl es sehr, sehr eng war. In der Kabine rollte er sich sofort ein und schlief weiter. Nach einigen Stunden nahmen wir ihn mit ins Restaurant - ein Zugeständnis der Besatzung -. Dort traf er zum ersten Mal auf andere Hunde, was ihn völlig aus der Fassung brachte. Indy rettete sich in Gebell und, sobald der Hund näher kam, in Welpengeschrei. Im Restaurant der Fähre, gut vorstellbar, eine Situation, die sich kein Hundebesitzer wünscht. Wir nahmen Indy aus der für ihn kritischen Distanz und setzten uns an einen weiter entfernten Tisch. Er war ruhig, aber extrem angespannt.

Zurück zu Hause, inzwischen hatte Indy seinen vierten Lebensmonat fast vollendet, blieb mir noch eine Woche Urlaub, um Indy langsam an seinen neuen Alltag zu gewöhnen.