INZUCHT - die Kehrseite der Medaille

von Peter von Döllen

Linien- und Inzucht sind häufig verwendete Zuchtmethoden bei Hunden, weil sie sehr schnell zu Erfolgen bei angestrebten Zuchtzielen verhelfen. Dieses beruht auf der Tatsache, daß viele gewünschte Eigenschaften eines Hundes durch übereinstimmende Geninformationen zu Tage kommen. Das heißt beide Elterntiere müssen für diese Eigenschaften gleiche Geninformationen besitzen. Die Wahrscheinlichkeit, daß dieses der Fall ist, steigt bei verwandten Hunden erheblich.

Auch bei Weissen Schäferhunden werden diese Zuchtmethoden häufig angewendet. Sehr viele Züchter und Genetiker gehen davon aus, daß Inzucht problemlos ist, wenn man sich gut auskennt und entsprechend aufpaßt. Dabei werden die Risiken und Probleme aber verschwiegen oder bei Seite gedrängt. Schon seit längerem warnen Populationsgenetiker (z.B. Frau Dr. Irene Stur, Dr. Wachtel und andere) vor den Gefahren einer Zucht mit hohem Verwandschaftsgrad und der Linienzucht. Selbstverständlich führt eine starke Inzucht zu schnellen und nachhaltigen Ergebnissen. Man muß sich aber fragen, welche Verbesserungen angestrebt werden. Meist sind es Fehler im Gebäude, zu große Augen, falscher Ohransatz, weißes Fell usw. Handelt es sich hierbei um Fehler, die den Hunden tatsächlich Nachteile irgendwelcher Art bringen? Oder sind es Fehler, die der Züchter, die Käufer, der Standard, die Menschen weghaben möchten?
Sollte man nicht erst die Gesundheit und Vitalität der Rasse verbessern und den Genpool erhalten? Womit wir bereits beim nächsten Punkt sind.

Man hört häufig die Meinung, daß durch die Inzucht bei sachgemäßer Anwendung keine Nachteile, keine Erbkrankheiten zu erwarten sind. Das stimmt so aber nicht! Man muß schon eine ganze Menge Daten der Linien (oder entsprechende Erfahrungen) haben, um das Risiko zu mindern. Das setzt aber objektive und lückenlose Aufzeichnungen voraus. Haben wir diese bei den Weißen Schäferhunden? Bei einem Hund haben wir es mit ca. 100.000 verschiedenen Erbinformationen zu tun. Wer möchte da von sich behaupten, diese alle in einer Rasse zu überblicken? Darüberhinaus haben wir im Augenblick nur die Möglichkeit aufgetretene Erbkrankheiten und Defekte zu registrieren. Man geht also immer ein hohes Risiko ein, ein bisher noch nicht aufgetretenes Problem zu Tage zu fördern.

Während es sich bei den Erbkrankheiten "nur" um ein Risiko handelt, kann man geradezu davon ausgehen, daß sich über kurz oder lang Vitalstörungen und Inzuchtdepressionen einstellen werden. Eine israelische Untersuchung hat ergeben, daß die Vitalität einer Rasse (dieses bezieht sich nicht nur auf Hunde) entscheidend davon abhängt, wieviele unterschiedliche genetische Merkmale in ihr vorhanden sind. Über diese Arbeit erschien ein Artikel in der Zeitschrift "Boxer Blätter". Auch ein Bericht in der "Hundewelt" (Ausgabe 4/1994) geht auf diese Untersuchung ein. Es wird anschaulich der negative Einfluß von Alleleverlusten auf allgemeine Fitness von Lebewesen beschrieben. Offenbar benötigt ein Organismus möglichst viele unterschiedliche Geninformationen für seine Reaktionen auf Umwelteinflüsse. Sonst kann es sein, daß er z.B. Infektionskrankheiten nicht mehr gewachsen ist. Bei unserer Rasse haben wir schon eine erhebliche Einschränkung der Genvielfalt durch die Tatsache, das unsere Hunde ausschließlich Weiß sind. Inzucht bewirkt immer mehr Hunde, die sich immer ähnlicher werden und je ähnlicher die Hunde sind, desto anfälliger werden sie. Als erste Anzeichen werden z.B. immer häufiger auftretene Hitzeperioden, Haut- und Verdauungsprobleme und häufige Infektionen genannt. Durch Gespräche mit vielen Besitzern haben wir den Eindruck gewonnen, daß beim Weißen Schäferhund vor allem Haut- und Verdauungsprobleme in letzter Zeit zugenommen haben. Das mag Zufall sein. Es könnten aber auch Anzeichen einer beginnenden Inzuchtdepression sein.

Desweiteren gehen uns wichtige Geninformationen verloren. Es ist klar, je ähnlicher sich die Hunde werden, desto weniger unterschiedliche Geninformationen sind in der Rasse vorhanden. Wer sagt uns denn, daß wir nicht irgendwann genau diese Gene mal nötig haben? Was dann? Was, wenn sich doch einmal Fehler einstellen, wie es bei vielen anderen Rassen schon häufig vorgekommen ist. Diese Vereine haben auch ähnlich argumentiert und hatten nachher die unsaglich schwierige Aufgabe, diese Fehler mit dem engen Genpool wieder herauszuzüchten. Bei einigen hatte man nur deswegen Erfolg, weil man ähnliche Rassen wieder einkreuzte.

Abgesehen von diesen wissenschaftlichen Aspekten ist natürlich auch die Frage, ob sich die Fangemeinde des Weißen Schäferhundes nicht eine Vielfalt von unterschiedlichen Hunden erhalten möchte. Im Augenblick gibt es noch unterschiedliche Schläge von weißen Schäferhunden. Wollen wir einen einheitlichen Hund? Oder wollen wir Familienhunde, Sporthunde, Wachhunde, Blindenhunde usw.? Auch diese Frage muß man sich abseits der wissenschaftlichen Aspekte überlegen.

Viele Populationsgenetiker halten folgende Punkte für eine Rasse für gefährlich:

Schon das Vorhandensein eines der genannten Punkte birgt eine Gefahr für eine Rasse. Beim Weissen Schäferhund sind ALLE Punkte vorhanden!

Wir wissen, daß beim Weißen Schäferhund schon eine hohe Inzuchtbelastung vorhanden ist und es besteht eine Begrenzung auf eine einzige Fellfarbe.

Das Fatale ist, daß wirkliche Probleme sich erst nach längerer Zeit bemerkbar machen können. Das sorgt für ein trügerisches Sicherheitsgefühl: Wir machen nun schon solange Linien- und Inzucht und noch ist kein Problem aufgetreten. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse zeigen aber das Gegenteil.

Es sollte das Ziel sein, gesunde, robuste und wesensfeste Weiße Schäferhunde zu züchten. Dazu muß die Zuchtbasis verbreitert werden, auch wenn wir dadurch bei anderen weniger wichtigen Punkten (Fellfarbe, Augenform usw.) nicht so schnell weiter kommen. Die Käufer von Welpen haben ein Recht auf widerstandsfähige und gesunde Hunde!

Meiner Meinung nach kommt nun auch den einzelnen Züchtern und auch den Welpenkäufern eine Verantwortung in dieser Frage zu. Sie sollten sich überlegen, ob es sinnvoll ist, Linien- und Inzucht zu betreiben und ob einzelne Rüden verstärkt zum Einsatz kommen sollen. Der Züchter kann durch Auswahl des Deckrüden die Belastung der Rasse beeinflussen. Jeder Züchter wird z.B. mit Sicherheit einen Grund finden den Spitzenrüden zu verwenden. Er sollte sich aber überlegen, ob dieses tatsächlich notwendig ist. Nur dann wird sich eine bessere Verteilung auf mehr Deckrüden einstellen.

Dr. Hellmuth Wachtel nennt in seinem Buch "Hundezucht 2000" (Gollwitzer Verlag 1997) als Minimalziel eine Zucht mit Hunden, die mindestens 3 Generationen nicht verwandt sind. Das ist beim Weißen Schäferhund allerdings schwierig.
Auch die Käufer können Einfluß nehmen, wenn sie bei der Wahl des Züchters diese Punkte hinterfragen und darauf drängen einen Welpen aus wenig verwandten Linien zu bekommen. Dr. Irene Stur gibt in einem Artikel ("WUFF" Ausgabe 7/8 1996) folgenden Ratschlag an Welpenkäufer: "Die Wahrscheinlichkeit, daß Defekte im Phänotyp auftreten, steigt mit dem Grad der Verwandschaft der Elterntiere. Je näher verwandt die Eltern miteinander sind, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß sie gleiche Defektgene tragen und an ihre Nachkommen weitergeben. Bei der Auswahl eines Welpen ist also auch die Verwandtschaft zwischen den Elternzu beachten, wobei sich der Grad der Verwandschaft aus der Zahl der gleichen Ahnen in den Pedigrees der Eltern abschätzen läßt. Je mehr gemeinsame Ahnen sowohl im Pedigree des Vaters als auch in dem der Mutter auftreten, umso enger sind die beiden Tiere miteinander verwandt"
Für mich ergibt sich aus dem Dargelegten, daß beim Weißen Schäferhund eher an eine Auskreuzung zu denken ist, als an eine gezielte Inzucht.