Snuffs-White ("Karhu")

Karhus letzte Zeit und sein Abschied

Wer einen Welpen aufnimmt, übernimmt eine Verantwortung. Die Zeit bis zum Abschied scheint lange hin, doch irgendwann ist der Hund ein Senior. Man will es nicht wahr haben, der Hund ist noch aktiv, wird ja vielleicht noch einige Jahre bei uns bleiben. Und dann ist er da, der Tag, an dem man realisiert, realisieren muss, dass der gemeinsame Weg bald zu Ende sein wird.

Es gibt -zig Bücher über Welpen, über Ausbildung und Erziehung, über Beschäftigung und Auslastung. Einige wenige befassen sich mit Senioren - auch Züchterseiten geben viele Ratschläge, doch die wirklich schwere Zeit wird viel zu selten erwähnt. Abschied und Tod sind Tabuthemen, das zieht sich in die Hundehaltung mit hinein. Ich möchte mit diesem Artikel ein wenig ändern, indem ich Gedanken und Erfahrungen schildere. Es wird traurig, denn für mich ist der Schmerz noch frisch - vier Wochen sind erst seit Karhus Tod vergangen.

Es gibt eine Zeit, die ich als äußerst schön empfunden habe. Wenn der Hund ein wenig älter wird, seinen Platz in der Familie gefunden und sich jeder mit den Eigenarten arrangiert hat. Diese Eigenarten, die einem auf die Nerven gehen, obwohl man weiß, dass genau die die Individualität ausmachen. Wenn man sich mit dem Hund mit einem Blick verständigen kann und dieser beginnt, Grenzen zu überschreiben, weil er an Tonfall und Mimik erkennt, dass die Anweisung nicht ganz ernst gemeint ist.

Zu dieser Zeit sind alle Kämpfe gekämpft und das macht das Zusammenleben angenehm. Der Hund zieht an der Leine? Na gut, dann eben Freilauf, er kommt ja eh zurück oder bleibt von vornherein an der Seite. Je mehr ich mir bewußt wurde, dass der Hund nicht mehr viele Jahre bei uns sein wird, desto weicher wurde ich in der Durchsetzung der Kommandos. Zum Teil auch zwangsläufig, denn bei "Platz" dauerte es eine Weile, bis Karhu sich legen konnte. Es ging alles nicht mehr so flink wie früher - nur der Kopf funktionierte noch. Und so lernte er das geduldige Abwarten zu schätzen und schaute sich erstmal nach dem gemütlichsten Platz zum Hinlegen um.

Das Alter ist eine sehr ruhige, zufriedene Zeit. Große Ausflüge wurden seltener, weil die Anstrengung zu spüren war. Irgendwann (2014) stellte ich die Fahrradtouren ein, da Karhu nach kurzer Zeit erschöpft war. Auch Autofahrten bedeuteten Stress, da das Hinlegen nicht mehr so unproblematisch klappte. Das letzte Jahr verbrachte er viel im Garten, besonders im letzten Sommer (2015) schien er gern in der Sonne zu liegen und zu dösen. Das gesamte Familienleben wurde ruhiger, schien sich dem Rhytmus ein wenig anzupassen. Karhus Auslastung bestand in kurzen Spaziergängen und Suchspielen. Ich bin dankbar darüber, dass wir mit ihm die Kurse Zielobjektsuche absolviert haben. Karhu war in der letzten Zeit vom Kopf her richtig fit, körperlich zeigte sich das Alter immer deutlicher. Die Suchspiele begeisterten und lasteten ihn aus, Kuschelstunden wurden zum Highlight.

Karhu war ein sehr kommunikativer und extrem menschenbezogener Hund. Wir erkannten das und nutzten diese Eigenschaft, indem wir ihn mit Menschen arbeiten liessen. Hier kam ihm die Sensibilität der Weißen zugute. Obwohl er draufgeängerisch und stürmisch war, habe ich nie erlebt, dass er im Altenheim über die Stränge schlug. Im Gegenteil, dort legte er eine besondere Vorsicht an den Tag. Und dort legten wir mit Sicherheit den Grundstein für die extrem gute Kommunikation. Gerade im Wachkomabereich arbeitete er am Ende eigenständig, vergewisserte sich mit Blicken, was ich von ihm erwartete. In fast 10 Jahren hatten wir das perfektioniert. Auch Zuhause bestand häufiger Blickkontakt und er wußte oft früher als ich, dass ich gleich aufstehen und ihm eine SChweineohr holen würde. Diese Fähigkeit war bisweilen fast unheimlich. Mir ist klar, dass dieser Hund ein Glücksfall war - und ein Nachfolger in diesem Bereich ein schweres Erbe antritt.

Abschied

Karhus Ende kam unerwartet und auch wieder nicht. Seit einigen Monaten wurden die Bewegungen behäbiger, er brauchte mehr Zeit, sich zu legen und aufzustehen und schaffte es auch immer seltener nach draußen, um sich zu lösen. Zipperlein, die das Alter mit sich bringt. Fialas "Gebrechen" waren ähnlich gewesen, daher ahnten wir den Verlauf, doch es kam anders.

Zwei Wochen vor seinem Tod durften wir eine Woche in Lökken mit ihm verbringen. Als er die Nordsee sah und realisierte, wo er war, verwandelte er sich förmlich in einen jungen, quirligen Hund und hüpfte lebensfroh aus dem Auto. Wir alle starrten ihm sprachlos nach, als er zum Wasser stürzte. (Die letzten beiden Fotos rechts dokumentieren das eindrucksvoll).Eine Woche lang genossen wir die Zeit mit ihm am Meer - wenn es auch keine langen Spaziergänge mehr waren, so konnten wir dennoch spüren, wie sehr er die Aufmerksamkeit und den Urlaub genoss. Vieles fiel ihm schwer, einige Male übernahm er sich und konnte nicht mehr weiter. Eine Pause half und nie war das Auto weit weg. Ich erinnere mich an einen sonnigen Nachmittag im Garten, lesend, Karhu schlafend an meiner Seite, über uns die kreischenden Möwen - Momente mit ihm, die ich mitgenommen habe, weil ich wohl irgendwie ahnte, dass dieses der letzte Urlaub sein würde. Heute bin ich dankbar, dass ich diese Momente mit ihm teilen durfte.

Wieder Zuhause, war zunächst alles wie immer. Knappe zwei Wochen Alltag, wenn auch mit zwei heftigen Durchfallattacken. Am Donnerstag Abend schaffte er den Spaziergang nicht mehr. Keuchend und völlig entkräftet fiel er förmlich auf den Fußboden. Geschlossen fuhr die Familie mit ihm zum Tierarzt. Bereits sein Verhalten dem Tierarzt gegenüber zeigte uns, wie schlecht es ihm ging. Er bellte nicht, er liess ihn nicht seinen gesamten Haß spüren, sondern fügte sich ergeben in sein Schicksal, liess alles mit sich machen. Kreislaufzusammenbruch, Herzprobleme. Doch als er wieder im Auto lag, wirkte er wach und aufmerksam. Obwohl es ihm sehr schlecht ging: Aufgeben war keine Option für ihn.

Die folgende Nacht war die erste, in der jemand von uns bei ihm blieb und über ihn wachte. Es ging ihm zunehmend schlechter, selbst wenn er sich völlig ruhig verhielt. Er schien zu warten.

Wir entschieden, den Tierarzt um einen Besuch zu bitten, um Karhu den Stress einer erneuten Fahrt zu ersparen. Er konnte nicht mehr aufstehen, doch seine Blicke signalisierten uns, gehen wollte er noch nicht. Das war einer der Gründe, weshalb wir uns dagegen entschieden, ihn einschläfern zu lassen. Es war an uns, aus seinen Blicken, aus seinem Verhalten zu erkennen, was er wünschte. Und ihm diesen Wunsch zu erfüllen. Heute bin ich noch immer sicher, alles richtig gemacht zu haben. Dieses Gefühl hat er mir mit seinen letzten Minuten gegeben und ich kann gar nicht sagen, wieviel es mir bedeutet.

Der Tierarzt versorgte ihn, wies uns auf die Möglichkeit hin, ihn in eine Tierklinik zu bringen, um alles menschenmögliche für ihn zu tun. Diese Option schlossen wir sofort aus. Ihn jetzt in einer sterilen Klinikatmosphäre fremden Ärzten zu überlassen, war das Letzte, was wir für ihn wollten. Wir wußten, dass unser Hund stirbt - seine gewohnte Umgebung, seine Familie war die beste Umgebung, die wir ihm bieten konnten.

Er konnte nicht mehr aufstehen und zeigte uns mit leisem Fiepen, wenn er etwas brauchte. Wasser, Nähe, Kuscheleinheiten. Für unsere Töchter wurde es eine lange Nacht, denn sie wachten bei ihm, kuschelten mit ihm und begleiteten ihn. Aber es war auch eine ruhige, friedliche Nacht, in der jeder für sich versuchte, das Schicksal anzunehmen. Am Samstag Morgen, als die Familie um ihn versammelt war, hörte er auf zu atmen. Als habe er auf den Moment gewartet, in dem wir wieder alle um ihn herum sind. Ich öffnete die Tür, denn wenn es eine Seele gibt, sollte sie frei sein.

Man sagt, in solchen Momenten sei der Übergang zwischen den Welten offen. Es gibt Ahnungen von dem, was sich ereignet, Dinge, die man nicht versteht. In einigen Überlieferungen verweilt die Seele bis sie schließlich abgeholt wird. Nach Karhus Tod hatte ich das Gefühl, dass noch etwas da ist. Zwei Nächte später erwachte ich von einem Krähenschwarm, der laut schreiend über dem Haus kreiste. Im Halbschlaf blickte ich auf die Uhr, es war zwei Uhr nachts. Leise flüsterte ich einige Worte des Abschieds. Am nächsten Morgen dachte ich an einen Traum. Bis meine Tochter mich fragte: "Hast du die Krähen gehört?"

Stille

Still ist es geworden. Karhu fehlt, aber es ist ganz anders als ich es erwartet hätte. Die beiden Tage und das Sterben haben in mir das Gefühl hinterlassen, dass alles gut und richtig war. Karhu ging in einem Moment, den er selbst bestimmt hat. Wir mussten nichts entscheiden, ER hat entschieden, wann der Zeitpunkt gekommen war. Das ist ein großer Trost. Das soll keine Statement gegen Euthanasie sein - es kommt immer auf die Situation an. Wenn unnötiges Leiden verhindert werden kann, mag diese Entscheidung gerechtfertigt sein.

Am Sonnabend und Sonntag stand für unsere Familie die Welt still. Es kamen Momente, in denen der eine oder andere von uns spontan in Tränen ausbrach. Die Familie rückte zusammen in gemeinsamer Trauer, aber auch in gemeinsamer Erinnerung. Es war möglich, zu trauern und bei einigen Anekdoten zu lachen. Zuerst liefen die Tränen in Momenten der Erinnerung. Wenn man ungestört die Schuhe anziehen kann. Wenn der Pizzarand auf dem Boden liegen bleibt, wo man ihn in alter Gewohnheit hingeworfen hat. Wenn die Katze die Futterzeit verpaßt, weil sie sich auf den Hund verlassen hat. Wenn man beim Heraussuchen der Weihnachtsdeko plötzlich ein Halsband mit "Merry Christmas" in der Hand hält. Wenn man die Spaziergänge allein machen muss und an Orten innehält, die eine besondere Bedeutung haben. Kurz innehalten kann helfen. SChließt man die Augen, spürt man vielleicht etwas. Einen kurzen, unmerklichen Stupser einer schwarzen Schnauze, der signalisiert: Sei nicht traurig, mir geht es gut.

Am Sonntag, noch völlig eingenommen von den Ereignissen, stand ich an seinem Grab in unserem Garten und liess meine Gedanken einfach fließen. Es waren intensive Gedanken, die ich im Andenken an einen wundervollen Hund kurz darauf aufgeschrieben habe und die dieses Seite komplettieren sollen.

Du bist noch da

Ganz leise, ruhig und friedlich bist du gegangen. Die letzten Tage waren schwer. Sie waren voller Vertrauen, voller Liebe und voller Abschiedsschmerz. Du versuchtest zu trösten, halfst uns mit einer innigen Kommunikation, die Dein tiefes Gefühl zu uns ausdrückte. An diesen letzten Tagen mehr als je zuvor.

Nun bist du weg. Gestern konnte ich noch etwas spüren, dort, wo wir uns verabschiedet hatten. Etwas war da, füllte den Raum aus und nahm den drückenden Schmerz. In der letzten Nacht hörte ich einen Schwarm Krähen. Mitten in der Nacht. Laut. Und ungewöhnlich. Danach war hier nichts mehr, nur noch Dunkelheit. Leere. Stille. Überwältigender Schmerz über den Verlust meines Seelenhundes, einen Teil meines Herzens.

Wenn ich hinausschaue, flackert auf dem Grab das Licht der Kerzen. Spendet ein wenig Trost. Aber den großen Schmerz kann jetzt nichts nehmen.

Am Sonntag Morgen strahlt die Sonne, als ob du mir sagen möchtest: Hey, sei nicht traurig. Und ich spüre einen leisen Hauch, der federleicht meine Seele berührt. Ich lasse mich darauf ein, schließe die Augen und erkenne deine Botschaft. Wenn ich jetzt allein die Hunderunde drehe, wenn ich innehalte und die Augen schließe, wirst du da sein. Ich kann dich spüren, als leisen Windhauch auf der Haut. Ich kann dich sehen, als glitzernden Tautropfen im Sonnenschein. Ich kann dich riechen, als leisen Hauch deines Duftes in der Luft. In den dunklen Stunden der tiefen Trauer berührst du mich. Auf einer anderen Ebene, aus einer anderen Welt. Ein leiser Strahl der Hoffnung sucht sich zögernd einen Weg durch die Dunkelheit. Vom ersten Tag an ist er da, hat eine Verbindung zu meiner Seele. Du warst mein Seelenhund, nur deshalb ist es möglich. Es hat sich etwas verändert, möchtest du mir sagen. Diese Veränderung beginnt mit Dunkelheit und tiefer Trauer. Jede Träne die geweint wird, ist wichtig. Ich schicke sie zu dir und erhalte einen liebevollen, tröstlichen Hoffnungsstrahl zurück.

Der Tag wird kommen, dann wird dieses Strahlen mein Herz ausfüllen, es wird tiefe Trauer über den Verlust verwandeln in ein Gefühl der Dankbarkeit und des Glücks über unsere gemeinsamen Jahre. Ein Teil unserer Seelen wird verbunden bleiben, ich spüre es schon jetzt.

Erst dann, wenn dieses Strahlen die Dunkelheit verdrängt hat, werde ich bereit sein für vier neue Pfoten, die die Wege mit mir entdecken werden, die du bereits mit mir gegangen bist. Es wird anders sein, eine neue Zeit, die die alte ergänzt, aber niemals ersetzt.

Denn bereits jetzt weiß ich, dass dich niemand ersetzen wird. Du warst mein Seelenhund. Deshalb werden sich unsere Seelen wiederfinden, vielleicht noch in dieser Welt, vielleicht in einer anderen. Solange wird etwas von dir immer bei mir sein.

Ein Sonnenstrahl in meinem Herzen, aber auch viele Erinnerungen an einen einmaligen weißen Schatten, der so viele Wege mit mir gegangen ist. Momente, Gedanken für die Ewigkeit.

Copyright: Gaby von Döllen, Worpswede (2015)